Gilt das auch für mich?

Ich bin mit einer Körperbehinderung und mit massiver körperlicher + sexualisierter Gewalt aufgewachsen. Als ich 8 und 12 Jahre alt war, habe ich Flyer einer Beratungsstelle für Kinder gesehen. Dort stand: „Wir helfen Kindern in Not.“ Ich wollte mich dort hin wenden, hatte aber damals große Ängste. Ich habe mich gefragt: „Ist das, was mir passiert überhaupt falsch oder ist das ok? Wird man mich verstehen und helfen? Ich hatte Angst, meine Eltern würden es erfahren und ich habe mich geschämt. Ich denke, dass sind Ängste, die viele von Gewalt betroffene (Kinder) kennen. Es braucht viel Mut, diese Ängste zu überwinden.

 

Mir, als Mädchen mit Behinderung, stellte sich aber schon vor dieser Hürde eine ganz andere Frage, nämlich die Frage: „Gilt das Hilfsangebot auch für mich?“Denn als Mädchen mit Behinderung erlebte ich im Alltag sehr oft, dass öffentliche Angebote zwar alle einladen, aber letztlich doch nicht für mich sind.

 

Die große Mehrzahl aller öffentlichen Gebäude Deutschlands kann ich mit der Behinderung nicht ohne Hilfe betreten. Schulen waren nicht barrierefrei und gewillt mich aufzunehmen, auch das Jugendzentrum nicht. Immer wieder lehnten Arztpraxen mangels Wissens + Barrierefreiheit die Behandlung ab. Der Sportverein war für alle Kinder, aber mich wollte er mit der Behinderung nicht. Ich rief Tanzschulen an. “Jede*r ist willkommen“, stand dort. Mir sagten sie: „Mit Rollstuhl tanzen geht hier nicht.“

 

Viele solcher Erfahrungen zeigten mir:  Angebote für alle gelten oft nicht für behinderte Menschen.  

So stand ich mit 8 und mit 12 Jahren berechtigterweise vor den Flyern der Beratungsstelle und fragte mich: „Gilt das Angebot auch für mich?“

 

Es wäre so schmerzlich für mich gewesen, anzufragen und dann zu hören: „Nein, für behinderte Mädchen ist das nicht“. Ich hätte mich dann furchtbar hilflos und so allein gefühlt, mehr als ich es ohnehin schon tat. Daher habe ich mich nicht getraut auch nur zu fragen und blieb viele weitere Jahre der Gewalt ausgesetzt.

Ich stand damals vor den Fragen:

  • Gilt das Hilfsangebot auch für behinderte Kinder?
  • Ist die Beratungsstelle barrierefrei und wie komme ich da allein, unbemerkt und so mobilitätseingeschränkt hin?
  • Und erst dann waren da Ängste und Scham, die auch unbehinderte betroffene Kinder kennen.

Viele Hürden.

 

Aber die zusätzlichen Hürden könnte man abschaffen, indem man im Infomaterial der Hilfsangebote immer dazu schreibt: „Das Angebot gilt auch für FLINTA und Mädchen mit Behinderung!“ Das wäre einfach und nach meiner Erfahrung dringend erforderlich.

 

Würde man zusätzlich dazu schreiben: „Wir helfen behinderten Menschen auch, uns barrierefrei zu erreichen“ wäre auch diese Hürde kleiner und man müsste nur noch die Angst überwinden, die auch unbehinderte Betroffene meistern müssen.

 

Ich habe in meinem Leben noch nicht erlebt, dass sich jemand darüber bewusst ist, dass sich FLINTA und Kinder mit Behinderung überhaupt die Frage stellen „Gilt das auch für mich?“ und wieso sie das tun. Dabei kann es eine große Hürde sein. Darum dieser Text.

 

Bitte gebt diese Info weiter!

 

 

 - Perlmuschel_Mia -

 

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